Fünf Minuten mit ... Dominic Kurtaz, Managing Director Zentraleuropa, Dassault Systèmes

Können Sie kurz erläutern, welche Produkte bzw. Dienstleistungen Dassault Systèmes anbietet?

Unser zentrales Angebot für die Branche ist eine Innovationsplattform für Unternehmen, die wir 3DEXPERIENCE Platform nennen. Sie ist darauf ausgelegt, Menschen mit Prozessen und Daten zu verbinden, um die Datensilos innerhalb des Unternehmens, aber auch die Silos zwischen Unternehmen und ihren Netzwerken zu beseitigen. Wenn wir von Daten sprechen, meinen wir nicht Tabellenkalkulationen und Textdokumente, sondern wir sprechen von wissenschaftlichen Daten: Wie simulieren wir das Produktverhalten, wie verstehen wir das Endkundenerlebnis, wie entwickeln wir neue Materialien, wie verstehen wir die Wiederverwertbarkeit ... Letztlich geht es um nachhaltiges Wirtschaften auf drei Achsen: nachhaltige Innovation, nachhaltige Geschäftsmodelle und nachhaltige Fähigkeiten und Kenntnisse der Menschen. Dies ist der Kern unseres Handelns und der Grund, warum wir uns als Unternehmen für wissenschaftliche Innovation verstehen.

Welche Rolle spielt Dassault Systèmes in der digitalen Transformation der Industrie? Was hat sich aus Ihrer Perspektive in den letzten zwei Jahrzehnten verändert, z.B. in der Automobilindustrie?

Was in den nächsten zehn Jahren passieren wird, wird alles, was in den letzten 60 Jahren passiert ist, komplett verändern - alle Branchen, alle Sektoren, alle Unternehmen. Wenn wir an Deutschland denken, das sehr stark von der Automobilindustrie abhängig ist, sehen wir, dass dieser Wandel bereits begonnen hat. Er geht weit über die Umstellung von Verbrennungsmotoren auf batteriebetriebene Elektrofahrzeuge (BEVs) hinaus. Es geht darum, ein völlig neues Nutzererlebnis, ein Fahrerlebnis, ein Besitzererlebnis und einen softwaregesteuerten Mehrwert zu schaffen. Das Auto wird zu einem vernetzten Teil einer intelligenten Infrastruktur. Folglich werden sich nicht nur das Endprodukt und das Fahrerlebnis ändern, sondern es ist auch ein Paradigmenwechsel in der Art und Weise erforderlich, wie Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen entwickeln, wie sie zusammenarbeiten und woher sie ihre Innovationen beziehen und neue Fähigkeiten gewinnen. Alle Geschäftsprozesse, die in den letzten 40 Jahren entwickelt wurden, werden völlig umgekrempelt werden. Mit unseren Lösungen können wir Unternehmen auf ihrem Weg der digitalen Transformation unterstützen - von der Ideenfindung über die Produktion und den Service bis hin zur Kreislaufwirtschaft.

Durch die 3D Experience Plattform soll eine enge Verbindung zwischen Industrie und Menschen ermöglicht werden. Können Sie anhand von Beispielen erläutern, was das in der Praxis bedeutet?

Eine Idee zu verwirklichen und erfolgreich zu machen, erfordert Wissen, Zeit und Ressourcen. Niemand kann das alleine schaffen, also besteht die Herausforderung darin, Branchen, Innovatoren - und damit auch Menschen - miteinander zu verbinden.

Bayern ist ein echter Innovationsmotor in Europa, nicht nur in Deutschland. Das zeigt sich an der ständig wachsenden Innovationskraft von Start-ups in Kombination mit den größten Industrieunternehmen, von denen viele auch hier in München ansässig sind. Vor allem München ist eine sehr internationale und vielfältige Stadt mit einem unglaublichen Pool an Talenten, wie z. B. durch die Technische Universität München (TUM), die den Unternehmen dabei helfen, internationales Denken und einen internationalen Touch in all ihre Aktivitäten einbringen zu können.

- Dominic Kurtaz, Managing Director Zentraleuropa, Dassault Systèmes

Ottobahn ist ein interessantes Beispiel für ein neues Mobilitätskonzept, das ein emissionsfreies und vollautomatisches Transportsystem oberhalb des heutigen Verkehrs entwickelt. Vielleicht haben Sie schon von der Teststrecke gehört, die derzeit in Taufkirchen gebaut wird. Durch die 3DEXPERIENCE Plattform in der Cloud kann Ottobahn das Wissen von Best-in-Class-Partnern bündeln, Aktualisierungen in Echtzeit austauschen und sicherstellen, dass alle Beteiligten stets über die neuesten Informationen verfügen. Gründer wie Marc Schindler mit ihrem kollaborativen Ansatz und Denken sind perfekte Beispiele dafür, was Innovation und die Umsetzung von Ideen nicht nur in der Zukunft, sondern bereits heute bedeutet. Das Gleiche gilt für Maximilian Steger und Servail als weiteres Beispiel, ein sehr innovatives Produkt, das im Herzen Münchens entwickelt wurde: Sie bieten eine robotergestützte Wartung von Gleisen und rollendem Material an. Es muss mit den Bahnbetreibern, den Anbietern von Schienenfahrzeugen, der Lkw-Wartung, den Bahndienstleistern... verbunden werden - wir brauchen also einen völlig anderen und agilen Weg, um Innovationen über diese Branchen und Ökosysteme hinweg zu verbinden.

Die Verbindung von Branchen, Innovationen und Menschen ist nicht nur Teil des Geschäftsmodells, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Denkweise, mit der Produkte zur Industrialisierung gebracht werden.

Dassault Systèmes eröffnet in München eines seiner 3D Experience Labs, aus welchen Gründen haben Sie sich für die bayerische Landeshauptstadt als Standort entschieden. Welche Ziele verfolgen Sie damit und welchen Mehrwert bietet das Lab für das lokale Innovationsökosystem?

München ist ein Innovationszentrum für Deep Tech, daher ist es nur logisch, unser globales Netzwerk von Innovationslaboren hier zu erweitern, um nachhaltige Innovationen zu beschleunigen, die das Herzstück von allem sind, was wir als Unternehmen tun. Wir sind eine Partnerschaft mit TUM Venture Labs und ESA BIC Bavaria eingegangen, zwei wichtigen Akteuren in der Region, um gemeinsam Start-ups auf ihrem Weg zu unterstützen.

Was bringen wir also in das lokale Innovations-Ökosystem ein?

Erstens haben alle Start-ups Zugang zu einem erstklassigen Fab Lab, das durch eine End-to-End-Plattform für Unternehmensinnovationen, die 3DEXPERIENCE-Plattform, ergänzt wird, um frühe Konzepte mit kommerziellen Ideen zu verbinden, und das alles in der Cloud.

Zweitens: die Größe des Ökosystems: Allein in Deutschland haben wir in den letzten 24 Monaten mehr als 3.000 Start-ups angeschlossen, um ihnen die Nutzung unserer Software zu ermöglichen, Wissen und Know-how auszutauschen und mit unserem riesigen Ökosystem von Industriekunden in Verbindung zu treten und zusammenzuarbeiten. 

Drittens: Schulung und Mentoring: Dassault Systèmes ermutigt alle seine 23.000 Ingenieure, Wissenschaftler, Geschäftsleute und kreativen Talente, 10 Prozent ihrer Zeit als Mentoren für Start-ups zur Verfügung zu stellen.

Sie haben bereits an verschiedenen Standorten weltweit gelebt und gearbeitet. Was macht Bayern für Sie besonders?

Denken wir zum an das Oktoberfest, das zum ersten Mal seit ein paar Jahren stattgefunden hat. Hier gibt es diesen unglaublichen Mix aus einer traditionellen, kulturellen Veranstaltung, bei der man aber auch Geschäfte machen kann - das ist es, was München und Bayern von anderen Orten unterscheidet, ein reiches kulturelles Erbe auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite das Zentrum der technologischen Innovation. Diese Kombination aus Kultur und Innovation ist sehr interessant und bietet eine große Vielfalt an unterschiedlichen Talenten.

Die Region ist von spannenden Kontrasten geprägt: Es ist toll, dass es diese Geschwindigkeit und Technologie gibt, die sich in der Innovationsszene vorwärtsbewegt, aber dann gibt es die ruhige und langsame Landschaft um München herum, die einem hilft, sich zu entspannen und neue Energie zu tanken.

Welche praktischen Empfehlungen möchten Sie Unternehmen geben, die nach und in Bayern expandieren wollen?

Denken Sie an die Netzwerke, die in der deutschen Industrie sehr wichtig sind. München hat diese großartige Fähigkeit, klein anzufangen, aber groß zu denken - und das gilt auch für Unternehmen jeder Größe, die sich in Bayern ansiedeln wollen. München liegt in der Mitte - innerhalb kürzester Zeit hat man Zugang zu einem großen Pool an Vielfalt. Der Wettbewerb um zukünftige Arbeitskräfte und Talente wird immer härter, und München ist ein großer Standortvorteil, um diese Talente an Bord zu holen.